Das Messiephänomen

Die verwahrlosten und vermüllten Wohnungen, auf die sich die Boulevardpresse so gerne stürzt, sind ja nur die kleine auffällige Spitze eines riesigen Eisberges, der - noch - unter der Oberfläche schlummert. Der Großteil der mittlerweile etwa vier Millionen Betroffenen leidet unerkannt still vor sich hin, schämt sich zutiefst und nimmt jede Anstrengung in Kauf, um nicht aufzufliegen.

Anstatt nun diesen Menschen, die, warum auch immer, an den täglichen Anforderungen des Lebens gescheitert sind, zunächst erst mal Verständnis entgegenzubringen, müssen sie als die neuen Buhmänner der Gesellschaft herhalten. Auf Ausländer zu schimpfen ist schon lange verpönt, und Homosexuelle befinden sich, Gott sei Dank, auch endlich auf dem Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Und allein erziehende Mütter setzen sich mittlerweile so rabiat zur Wehr, dass man sie besser in Ruhe lässt.

Also müssen neue Sündenböcke her. Und was bietet sich in unserer Sauber-Putz-und-Waschmittel-Gesellschaft mehr an als jemand, der es nicht mehr schafft, seine leeren Pizzakartons rechtzeitig zu entsorgen, sondern der sie einfach so im Flur liegen lässt, bis die Tür nicht mehr aufgeht? Jemand, der seit Wochen überhaupt nur noch Pizzas und Fertiggerichte essen kann, weil er kein sauberes Geschirr mehr hat, die Spüle unbenutzbar geworden ist und er einfach nicht die Kraft findet, einen Topf zu schrubben, um sich ein paar simple Spaghetti zu kochen.

Dabei reicht oft eine Scheidung, eine Trennung oder der Tod eines Angehörigen schon aus, um einen Menschen derart aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass er es nicht mehr schafft, auch nur den geringsten Alltagsanforderungen standzuhalten.
Und das kann jeden treffen!

Ich kannte mal eine Frau, deren Wohnung immer tipptopp aussah. Wenn ihr Mann abends von der Arbeit nach Hause kam, stand das Essen auf dem Tisch. Ihre kleine Tochter war stets adrett gekleidet und wie aus dem Ei gepellt. Diese Frau hatte sogar gelegentlich versucht, mir das Aufräumen und Ordnung-Halten beizubringen und immer wieder betont, wie einfach das doch sei.
Irgendwann hatte ihr Mann dann eine Geliebte und ließ sich schließlich von meiner Bekannten scheiden. Innerhalb von wenigen Wochen war ihre Wohnung nicht wiederzuerkennen. Und die Veränderung war nicht zum Besseren.
Ein jahrelanger Kampf gegen das Chaos nahm seinen Anfang ...

Ein älterer Herr, so um die 50, hat den Mut aufgebracht, sich in eine nachmittägliche Fernseh-Talkshow zu begeben und dort zu bekennen: "Ich bin ein Messie. Ich bin verzweifelt, ich weiß nicht mehr weiter und brauche dringend Hilfe."
Nebenbei sieht man immer wieder Einblendungen aus seiner Wohnung: heruntergelaufene Spaghettisoße am Herd, jede Menge Bücher und Kleidungsstücke um seine Schlafstelle herum, und eben überallSachen.

Statt dass der Mann aber nun gestärkt wird und Anerkennung erhält für den Mut, sich derart zu outen und sich sogar, aus seiner Verzweiflung heraus, bereit erklärt hat, seine Wohnung filmen zu lassen - wird er nach Strich und Faden fertig gemacht.

Das Publikum ist sich einig: So was ist doch unmöglich - wie kann man es nur so weit kommen lassen! Wie eklig, die Soße da am Herd! Eine Drecksau, dieser Typ!

Messies sind mitnichten faul, dumm oder gar bösartig. Sie haben ganz einfach den Überblick über ihr Leben verloren, den roten Faden, die Antwort darauf: Warum lebe ich? Wo ist mein Platz in dieser Welt?
Und dieses innere Chaos spiegelt sich in der äußeren Umgebung des Betroffenen.





Schild in einem Wildschweingehege:



Das Paradies

oder: "Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder ..." (Matth. 18)

Was ist uns noch übriggeblieben vom Paradies, aus dem wir ja bekanntlich rausgeflogen sind?
Doch, es ist noch da - aber wir machen uns den Eintritt unnötig schwer, und das ist der eigentliche Rausschmiss: Dass wir uns den Zugang zum Paradies mühsam erarbeiten müssen. Manche von uns brauchen ein ganzes Leben dazu, andere wiederum schaffen es gar nicht. Nur Kindern fällt es leicht.

Was haben wir noch vom Paradies?

Zum Beispiel:

1. Die Natur
2. Die Faulheit
3. Den Spieltrieb (nicht zu verwechseln mit der Spielsucht!)
4. Das Leben im Hier und Jetzt
5. Den stetigen Kreislauf zwischen Chaos und Ordnung

Gedanken zur Faulheit

Was gibt es Schöneres als einen ganzen verregneten Sonntag komplett auf der Couch zu verbringen, völlig tatenlos, eingekuschelt in eine weiche Decke? Mit der Fernbedienung in der Hand, mit der man sich, falls man nicht gerade schläft, durch die 42 Fernsehkanäle wühlt. Aufstehen kommt nur in Frage, wenn sich Hunger anbahnt, und nach dem Essen wird gleich weiter gezappt und gedöst.

Nichtstun ist besser als mit vieler Mühe nichts schaffen, sagt Laotse.
Genau das aber können die meisten von uns überhaupt nicht: Mit gutem Gewissen faul sein, und das auch noch so richtig schön genießen.
Menschen, deren Wirkungsfeld sich hauptsächlich im Hause befindet, zum Beispiel Mütter von Kindern sowieso nicht. Sie haben immer das Gefühl, es müsse noch was getan werden, selbst wenn sie schon den ganzen Tag gewaschen, geputzt, den Partner und die Kinder bekocht und ihre Hausaufgaben überwacht haben.

Aber auch Menschen, die zusätzlich einem außer-Haus-Job nachgehen, in diesem hart arbeiten und nun wirklich Grund genug haben, mal alle Viere von sich zu strecken, machen das, wenn überhaupt, nur mit äußerst schlechtem Gewissen. Und genau damit vermiesen sie sich selbst die positive und so wichtige Funktion der Faulheit: Die umfassende Regeneration, die gelegentliche "Auf-Null-Stellung" ihres geplagten Körpers und ihrer permanent gehetzten Seele.

Die besonders Gestressten unter uns, die also eine Auszeit am dringendsten nötig hätten, verbringen nicht selten ihre Wochenenden damit, völlig ausgepowert zwischen all den unerledigten Dingen herumzusitzen und missmutig dran zu denken, was sie eigentlich alles noch machen müssten, wenn sie nur die nötige Energie dazu hätten.

Dabei ist die absolute Faulheit und ziellose Herumstreunerei, sofern sie ausgiebig genossen wird, das beste Mittel, um uns fit zu machen für neue Taten!

Das kann man doch noch gebrauchen:

Waschmaschüssel

(Ein Dankeschön an Philipp Winterberg für diesen genialen Einfall)

Und das sind die wirklichen Sauereien!

Messie resultiert aus dem englischen Begriff "mess" = "Sauerei".
An dieser Stelle zeige ich einige wirkliche Sauereien (es gibt noch viel mehr!)
unseres Lebens / unserer Gesellschaft auf, menschen- und tierverachtende Zustände,
gegen die eine unordentliche Wohnung nun wirklich harmlos ist!

Deutsche Telekom stellte Kundendaten zur Terrorfahndung bereit

Ei mit Drei - Sauerei - Immer noch Legebatterien!

Leben und Sterben für die Eierindustrie

Datenmessie Schäuble

Sprachcomputer - und wie man sie austricksen kann


© (für alle Inhalte dieser Homepage) Eva S. Roth